Mini Überraschung
Eine Kurzgeschichte von Moritz Eberhard für immi.de
In einer stillen Nacht vor dem Weihnachtsabend würde man wohl nicht erwarten, dass eben jene Stille grob von einem ohrenbetäubenden Rumpeln und verzweifeltem Scharren verscheucht würde.
Zumindest tat das Emil nicht. Schließlich war er bereits groß, beinahe neun Jahre alt und die Zeiten, in denen er mit großen Augen am Fenster oder dem Treppenansatz kauerte und sehnlichst darauf hoffte, wenigstens einen kurzen Blick auf einen vorbeifliegenden Schlitten oder einen dicken, in rot gekleideten, bärtigen Mann zu erhaschen, waren längst vorüber.
Diesen Unfug glaubte er nicht mehr. Mehr gar erschreckte ihn die Vorstellung eines Fremden, der durch den Kamin in ihr Haus einbrach.
Vielleicht fuhr er eben deswegen aus dem Schlaf, als das dumpfe Rumpeln durchs Haus polterte. Emil lauschte angestrengt. Es kam aus dem Wohnzimmer.
Da rannen auf seinem Gesicht die einstige Hoffnung und das heutige besseres Wissen miteinander und er schlich zur Treppe, die ins Wohnzimmer hinabführte und äugelte die Stufen hinab. Das Rumoren wurde lauter und Emil konnte deutlich schwarzen Ruß erkennen, der vom Kamin in die Feuerstelle hinab rieselte. Er schlich näher heran und nun meinte er leises Fluchen und Husten zu hören.
»Stecken Sie fest?«, fragte er unvermittelt zur Feuerstelle hin, obwohl er nicht recht wusste, was er davon erwarten sollte. Denn natürlich war es nur ein Tier, ein Vogel oder Marder, der in den Schornstein gestürzt war.
Augenblicklich erstarb das Poltern und Stöhnen.
Emil wagte sich weiter voran und lugte vorsichtig in den Kamin herein. Ruß rieselte ihm in die Nase, doch da waren sie, kaum weiter von seinem Gesicht entfernt, als der Ruß stob, den er aushustete. Dicke, lederne Stiefel mit goldenen Schallen.
Und da wurde sämtliche Vorsicht und aller Schreck von kindlicher Begeisterung beiseite gestoßen und Emil zerrte kräftig an den Stiefeln.
Und da plumpste ein dicker, in rot gekleideter, weißbärtiger Mann auf die Feuerstelle hinab und purzelte ins Wohnzimmer herein. Rasch rappelte er sich auf, dann fiel sein Blick auf Emil. »Hmpf, du solltest im Bett sein, Junge!«
Doch Emil strahlte nur begeistert.
»Es gibt Sie also doch wirklich!«
»Natürlich gibt es mich wirklich!«, murrte der Weihnachtsmann und lehnte sich prustend gegen den Kamin.
»Die werden auch immer enger! Wenn es denn überhaupt einen Kamin gibt und ich keinen anderen Weg hinein finden muss. Früher, da schlüpfte ich leichthin durch jeden Kamin! Doch sie scheinen mir jedes Jahr enger zu werden.«
Emil doch warf einen verstohlenen Blick auf den dicken Bauch des Weihnachtsmannes, was diesem nicht entging. Entrüstet wuselte er mürrisch murmelnd umher und griff nach einigen bereitgestellten Plätzchen mit bunten Streuseln.
»Nun es ist kein Wunder, oder? Die Leute stellen mir nichts als Kekse und Zuckerkram hin! Wie soll man sich da schlank halten?“
Emil lachte.
»Das sagt mein Papa auch immer während der Weihnachtszeit«
Da musste auch der Weihnachtsmann schmunzeln und während er sich die Krümel aus dem Bart strich, kramte er eine rote Taschenuhr hervor.
»So ein Mist«, polterte er und brach vor Ärger ein Plätzchen entzwei, »Das hat mich einige Zeit gekostet. Hach, ich werde es wohl nicht schaffen, alle Geschenke abzuliefern.«
Emil war bestürzt.
»Was?! Aber was ist mit den anderen Kindern?«
Doch der Weihnachtsmann schwieg traurig. Emil warf einen Blick auf seine eigenen Geschenke, die zahlreich unter dem Baum lagen.
»Ich könnte Ihnen doch helfen! Ich bin klein und flink. Ich könnte ganz schnell durch die Kamine schlüpfen!«
Der Weihnachtsmann strich sich nachdenklich durch den weißen Bart und musterte ihn abschätzig.
»Nun in gewisser Weise ist es ja auch deine Schuld, nicht wahr? Wenn dein Kamin etwas breiter gewesen wäre, hätte ich nicht so viel Zeit verloren.«
Emil strahlte und der Weihnachtsmann gab endgültig nach.
»Nun gut. Zum Schlitten denn! Wir haben einiges zu tun!«
Und so sausten die beiden auf dem fliegenden Schlitten, der von den neun Rentieren gezogen wurde, durch die Nacht. Unterwegs zog der Weihnachtsmann Listen hervor, hakte hier und dort einen Namen ab, suchte Geschenke heraus und Emil schlüpfte mit ihnen durch die Kamine und legte sie unter die duftenden Weihnachtsbäume. Und noch bevor die Sonne den Weihnachtsmorgen ankündigte, da lag Emil wieder in seinem Bett.
Und als er am nächsten Morgen unter seinen Geschenken eine Grußkarte fand, die weder Papa oder Mama noch sonstige Verwandten geschrieben hatten, da wusste er, dass es kein Traum gewesen war.